Mittwoch, 1. Juli 2020

Menschenrechte im Mittelmeer       

 

Am letzten Freitag ist Hamed, 12 Jahre alt, in Zürich gelandet. Sein Vater Mohammed Haydari und seine Tante Zahra Jafari sahen ihn nur durch eine Scheibe. Hamed ist nun für 2 Wochen in Quarantäne. 8 Monate war er in Moria auf Lesbos.

 

Moria – die Zahlen und Fakten sind bekannt, und man kann sie nicht genügend wiederholen: Insgesamt 20'000 Menschen leben in diesem Flüchtlingslager, darunter 4’000 Kinder. Das Camp wurde innerhalb der Mauern einer Kaserne errichtet, die ursprünglich für 3'000 Soldaten konzipiert worden war. Es mangelt an sanitären Anlagen, Wasser, Seife und Ernährung. Jean Ziegler hat das Lager in seiner Funktion als Vizepräsident des beratenden Ausschusses des UN-Menschenrechtsrates im Mai 2019 besucht. Noch heute ist er regelmässig mit SchweizerInnen in Kontakt, die auf den fünf Kleinasien am nächsten liegenden Ägäisinseln Lesbos, Kos, Leros, Samos und Chios Hilfe leisten. «Die Zustände in Moria sind die Hölle: Frauen, Männer und Kinder sind von diesen mit Glasscherben und Stacheldraht mit Widerhaken bewehrten Mauern eingeschlossen, bewacht von bewaffneten Polizisten in schwarzen Uniformen. Jenseits der Mauern des offiziellen Lagers erstrecken sich inoffizielle Lager in den Olivenhainen. Sie sind schlimmer als jeder Slum, den ich auf der Welt je gesehen habe», erzählt der Soziologe der WOZ.

 

EU sprach 35 Milliarden für Grenzschutz und Flüchtlingsabwehr

Für die Rüstungsindustriellen und die Waffenhändler aller Art sei der Kampf gegen Flüchtlinge und MigrantInnen viel profitabler als jeder gegenwärtig wütende Krieg in Syrien, Darfur oder Jemen, schreibt Ziegler in seinem Buch «Die Schande Europas», das Anfang Jahr bei Bertelsmann erschienen ist. Die 140 Seiten sind erschütternd und sollten Pflichtlektüre sein für alle, die sich mit der Lage im Mittelmeer befassen (möchten). Danach hat die EU die Finanzmittel für «Grenzsicherung und Migration» auf 34,9 Milliarden verdreifacht bis 2027. Es scheine, so die Begründung der Europäischen Kommission, dass Grenzsicherung und Migrationssteuerung in Zukunft eine der wichtigesten Aufgaben (der EU) sein werden. Damit missachtet resp. verstösst die EU gegen die Menschenrechte: Es gibt für verfolgte Menschen keinen illegalen Grenzübertritt. In Artikel 14 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte heisst es: «Jeder Mensch hat das Recht, in anderen Ländern vor Verfolgung Asyl zu suchen und zu geniessen».

 

Die Schweiz trägt als Dublin-Staat Mitverantwortung

Seit Monaten und erst recht seit Corona schlagen zahlreiche Hilfsorganisationen international Alarm. In der Schweiz lancierte die Gruppe «evakuieren jetzt» den Oster-Appell, der von 130 Organisationen aus unterschiedlichsten Bereichen und 153 Persönlichkeiten als ErstunterzeichnerInnen mitgetragen wird - darunter auch Jean Ziegler. Die Petition fordert den Bundesrat und das Parlament «eindringlich auf, möglichst viele Geflüchtete aus der Ägäis in die Schweiz zu holen». Als Dublin-Staat trage die Schweiz eine Mitverantwortung für die humanitäre Katastrophe auf den griechischen Inseln. Innert kurzer Zeit unterschrieben 40’000 Menschen den Appell.

 

Die Schweiz hat Platz für 9'000 Flüchtlinge

«Die Schweiz müsste 5'000 Menschen ins Land bringen», sagt Jean Ziegler, «die Asylzentren bei uns sind quasi leer. Die aktuelle Asylpolitik ist doch absurd.» In der Tat: Die Schweiz könnte sehr viel mehr Asylsuchende aufnehmen. Selbst der Bundesrat schreibt in seiner Antwort auf eine Anfrage der Basler Nationalrätin (Grüne) Sibel Arslan vom März dieses Jahres: «Das Notfallkonzept von Bund und Kantonen (...) sieht unter anderem vor, dass der Bund (...) bis zu 9’000 zusätzliche Unterbringungsplätze für die Erstunterbringung von Asylsuchenden» bereitstellen kann. Der Platz ist also vorhanden, und ein Notfall ist im Flüchtlingslager Moria auf Lesbos eindeutig gegeben.

 

Das EJPD bewilligte zwar vor ein paar Wochen 1,1 Millionen Franken zur Unterstützung von Uno- und anderen Hilfswerken. Die Forderung aber, Menschen aus dem Flüchtlingslager Moria in der Schweiz aufzunehmen, verhallte - bis jetzt - ungehört. Immerhin wurde Staatspolitische Kommission des Nationalrates aktiv. Sie verlangte mit der Motion Nr. 20.3143, die Schweiz müsse Flüchtlinge aufnehmen und sich auf europäischer Ebene dafür einsetzen, dass die schlechten Lebensbedingungen der Flüchtlinge auf den ägäischen Inseln substanziell verbessert würden. Aber auch, dass die Dublin-Verträge neu diskutiert werden. Am 17. Juni hat der Nationalrat die Motion angenommen. Nun muss das Geschäft noch in den Ständerat. Die Mühlen mahlen langsam, die Flüchtlinge aber, müssen jeden Tag neu überlegen, wie sie am nächsten Tag über die Runden kommen. Die WoZ-Autorin Franziska Grillmeier hat mit Fotos von Julian Busch eindrückliche Porträts geschieben: Die Gestrandeten von Moria; WOZ 27/2020

 

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