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Das Ziel ist erreicht !
Donnerstag, 15. Dezember 2022
Es ist geschafft: Das Gebot der gewaltfreien Erziehung von Kindern hält Einzug ins Zivilgesetzbuch. Gestern sagte der Ständerat mit 27 zu 8 Stimmen bei 3 Enthaltungen JA zur Motion von Nationalrätin Christine Bulliard-Marbach (Mitte/FR); der Nationalrat hatte sie schon vor gut einem Jahr gutgeheissen.
Ein Glanzresultat: Wir freuen uns!
Eine lange Geschichte hat ihren Höhepunkt erreicht: Über nunmehr 15 Jahre haben Parlamentarierinnen immer wieder Vorstösse eingereicht, die eine Verankerung der gewaltfreien Erziehung im ZGB forderten: Doris Stump (SP, 2005), Jacqueline Fehr (SP, 2007), Yvonne Feri (SP, 2013); Chantal Galladé (SP, 2015), Géraldine Marchand-Balet (CVP, 2018) und zu guter Letzt Christine Bulliard-Marbach (Mitte, 2019). Zahlreiche Menschen und Organisationen haben sich für dieses Ziel eingesetzt, im Tessin, in der Romandie, in der Deutschschweiz.
Obwohl der Bundesrat sämtliche Vorlagen immer wieder ablehnte, gelang es endlich, das ganze Parlament für ein JA zu einem Gesetz zu gewinnen. Ständerat Andrea Caroni (FDP/AR) formulierte seinen Meinungsumschwung in der Debatte so: «Mein erster Gedanke war, dass ein Gesetz nichts bringt, aber inzwischen komme ich zum Schluss, dass es doch einen Nutzen haben könnte.»
Und so muss sich nun der Bundesrat dem National- und Ständerat fügen. Er wurde beauftragt, ein Gesetz für die gewaltfreie Erziehung auszuarbeiten. Und seit wir wissen, dass Elisabeth Baume-Schneider im Januar 2023 Karin Keller-Sutter (KKS) als Bundesrätin im Justizdepartement ablösen wird, bestehen gute Chancen, dass die Erarbeitung eines Gesetzes ein gutes Resultat ergeben könnte. Denn KKS hat in den letzten Jahren, als sie Justizministerin war, alles dafür getan, um ein Gesetz zu blockieren: In ihrem Departement, im Nationalrat und zuletzt im Ständerat. Sie hat verloren. Und das ist auch gut so, denn die Schweiz wurde von der Uno in der Vergangenheit mehrfach gerügt, weil sie nicht bereit war, ein Gesetz für die gewaltfreie Erziehung zu verankern.
Interview auf SRF:
Recht auf Gewaltfreiheit:
Christine Bulliard-Marbach: «Wir reden nicht von einer einzigen Ohrfeige»
Hier anschauen -
Bundesrat sagt schon wieder Nein
Mittwoch, 19. Oktober 2022
Heute verabschiedete der Bundesrat den Postualtsbericht (Postulat) zur gewaltfreien Erziehung. Darin empfiehlt er der Rechtskommission des Ständerates, die Motion Nr. 19.4632 "Gewaltfreie Erziehung im ZGB verankern" abzulehnen.
Obwohl der Nationalrat mit 111 zu 79 Stimmen im September 2021 die Motion von CVP-Nationalrätin Christine Bulliard-Marbach deutlich annahm, soll nun die Motion abgelehnt werden.Ich bin mehr als verwundert, warum entscheidet der Bundesrat so ? Bis anhin sagte er, das Parlament wolle keine gesetzliche Regelung resp noch mehr Gesetze. Nun zeigt sich aber, dass der Bundesrat - mal höflich ausgedrückt - unsensibel und auch unaufmerksam ist. Nicht nur hat der Nationalrat überdeutlich Ja gesagt zu einem solchen Gesetz. Er ignoriert auch all die Berufsleute, die mit Kindesschutz zu tun haben, die dringend ein solches Gesetz benötigen, oder auch Betroffene, Kinder wie Erwachsene; letztere leiden oft noch viele Jahrzehnte nach ihrer Misshandlung unter den Folgen der Gewalt, die sie durch ihre Eltern erfahren haben: Mich rief eine 55-jährige Frau an, nachdem diese Bundesratsentscheidung bekannt wurde, sie weinte vor Entrüstung...
Der Entscheid des Bundesrates zeigt auch, dass er die Empfehlungen von verschiedenen UN-Gremien für die Rechte des Kindes und zahlreicher Studien zur Gewalt an Kindern in der Schweiz ignoriert - und daraus nichts gelernt hat.
Nun zähle ich auf die Klugheit des Ständerates im November. Ich hoffe sehr, dass er versteht, dass es nun höchste Zeit ist der Motion zuzustimmen, damit auch die Schweiz endlich ein Gesetz hat, das Gewalt an Kindern untersagt, sie somit reduzieren kann - so wie das die meisten europäischen Länder tun.
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Rechtskommission Ständerat: Bericht des Bundesrates abwarten
Freitag, 18. Februar 2022
Im Februar beriet die Rechtskommission des Ständerates die Motion Nr. 19.4632 "Gewaltfreie Erziehung im ZGB verankern". Weil die Motionärin, Mitte-Nationalrätin Christine Bulliard-Marbach, nach der Einreichung ihrer Motion im Dezember 2019 der Sache Nachdruck verleihen wollte, reichte sie drei Monate später einen weiteren Vorstoss im Parlament ein, nämlich ein Postulat. Ein Postulat verlangt vom Bundesrat einen Bericht; in diesem Fall wurde der Bundesrat beauftragt "zu prüfen und in einem Bericht darzustellen, wie der Schutz von Kindern vor Gewalt in der Erziehung im ZGB verankert werden kann". Es sind also derzeit zum Thema gewaltfreie Erziehung zwei Vorstösse hängig im Bundesparlament, eine Motion und eine Postulat.
Die Rechtskommission möchte nun, so teilt sie in ihrer Medienmitteilung mit, den Bericht zum Postulat und die darin vom Bundesrat präsentierten Lösungsvarianten abwarten. Erst dann wird der Ständerat über die Motion "Gewaltfreie Erziehung im ZGB" befinden.
Der Bericht des Bundesrates wird voraussichtlich im Sommer 2022 vorliegen. Die Kommission wird also die Beratung der Motion in der Herbst-Session weiterzuführen.
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Montag, 25. Oktober 2021
ETAPPENSIEG: NATIONALRAT SAGT JA ZUR GEWALTFREIEN ERZIEHUNG
Viele Anläufe waren über die Jahre nötig, viele Vorstösse wurden in den letzten Jahren eingereicht - und abgelehnt. Doch am 30. September sagte der Nationalrat mit 111 zu 79 Stimmen endlich JA zur gewaltfreien Erziehung, und zwar zur Motion Nr. 19.4632 von CVP-Nationalrätin Christine Bulliard-Marbach.
Mit dieser Motion wird der Bundesrat beauftragt, "im Schweizerischen Zivilgesetzbuch (ZGB) einen Artikel aufzunehmen, indem für Kinder das Recht auf gewaltfreie Erziehung verankert wird. Unsere Kinder müssen vor körperlicher Bestrafung, seelischen Verletzungen und anderen entwürdigenden Massnahmen geschützt werden". Wie soll ein solcher Artikel aussehen? Ein Blick nach Deutschland vereinfacht die ganze Debatte: "Kinder haben ein Recht auf gewaltfreie Erziehung. Körperliche Bestrafungen, seelische Verletzungen und andere entwürdigende Maßnahmen sind unzulässig". So steht es im deutschen Zivilgesetzbuch (BGB Art. 1631, Abs. 2). Warum muss man alles selber erfinden, wenn bei unseren Nachbarn schon viel gedacht und erarbeitet wurde? Denn: Dieses Gesetz, das seit bald 20 Jahren in Kraft ist in Deutschland, hat die Sensibilität vieler Eltern erhöht - und schlussendlich die Gewalt an Kindern gesenkt.
Zurück in die Schweiz: Die nächste Etappe findet im Ständerat resp. in der Rechtskommission des Ständesrates statt, sie muss nun der Motion zustimmen. Und dann der Ständerat. Nachdem nun der Erstrat, der Nationalrat, die Motion angenommen hat, besteht die Hoffnung, auch der Ständerat habe ein Einsehen. Was hat sich verändert: Die Coronazeiten, insbesondere, die Lockdowns, haben verschärft zu Tage gebracht, dass die häusliche Gewalt während der Pandemie zugenommen hat. Somit sind auch Kinder vermehrt Gewalt ausgesetzt. Auch sie gilt es zu schützen.Fernsehen SRF strahlte im Oktober einen sehr guten Dokumentarfilm zur Gewalt in der Erziehung von Andrea Pfalzgraf aus: "Was elterliche Gewalt mit Kindern macht". Das Thema wird aus verschiedenen Blickwinkeln beleuchtet: Betroffene erzählen, zahlreiche Fachleute - wie z.B. der Kinderarzt Dr. Georg Staubli. Er arbeitet in Zürich in der Kindernotfallmedizin und schildert eindrücklich seine Alltagsbeobachtungen in seiner Arbeit.
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Jean Ziegler: Europa schafft sich ab
Montag, 6. September 2021
Jean Ziegler«Kroatien ist seit 2013 Mitglied der Europäischen Union. Seitdem soll es auch die Südgrenze der EU vor flüchtenden Menschen aus den benachbarten Kriegsgebieten «schützen».
Erik Marquardt ist Vertreter der deutschen Grünen im Europaparlament und Mitglied der Untersuchungskommission zum Vorgehen der Grenzpolizei Frontex. Er hat soeben ein erschütterndes, kluges Buch geschrieben: «Europa schafft sich ab».
ABSCHRECKUNG. Einigen geplagten Familien aus Syrien, Afghanistan und dem Irak gelingt es, über die Türkei bis in die überfüllten Elendslager in Bosnien-Herzegowina zu gelangen.
Von dort versuchen sie, durch die Stacheldrahtverhaue an der Grenze ins EU-Land Kroatien zu kommen, um ihr Asylgesuch zu deponieren.
Marquardt berichtet im «Sonntagsblick» (1. 8. 2021): «Es häufen sich die Fälle von Folter an der kroatisch-bosnischen Grenze. Flüchtlinge werden gezwungen, sich zu entkleiden. Ihnen werden die Haare geschoren, Kreuze auf die Stirn gemalt und Fingernägel ausgerissen.»
Das rassistische Folterregime in Zagreb wird von Frontex unterstützt. Dabei ist die Behauptung, die EU könne das Asylrecht aufgrund des Widerstands osteuropäischer Mitgliedstaaten nicht mehr einhalten, verlogen. Vielmehr hat sich Brüssel gemeinsam für die Abschottung entschieden und damit dafür, die eigenen Gesetze zu brechen. Die Misshandlungen an der kroatisch-bosnischen Grenze, die Vertreibung von Flüchtlingsbooten in der Ägäis oder die Einschränkung der Asylverfahren haben alle nur ein offensichtliches Ziel: andere davon abzuhalten, auch nur den Versuch zu wagen, ein Asylgesuch zu stellen.
NOCH MEHR GELD FÜR FRONTEX. Am Dienstag, dem 31. August, hielt US-Präsident Joe Biden vor dem versammelten Pressecorps des Weissen Hauses eine emotionale Rede zur Situation in Afghanistan. Er schloss mit den Worten: «Die USA und ihre Verbündeten werden die zurückgebliebenen Ausreisewilligen nicht im Stich lassen. Wir werden ihnen zur Ausreise verhelfen.»
Bidens Versprechen ist, was die europäischen Alliierten betrifft, eine reine Lüge. In der vorletzten Augustwoche tagten die Innen- und Justizminister der EU. Mit am grossen Verhandlungstisch sass auch Bundesrätin Karin Keller-Sutter. Einziges Traktandum: Wie kann die EU, auch die Schweiz, verhindern, dass die vom fürchterlichen Taliban-Regime bedrohten Menschen als Flüchtlinge nach Europa kommen können?
Zu diesem Zweck wird das Budget der Frontex weiter massiv aufgestockt. Und daran beteiligt sich auch die Schweiz. Sie will ihren Beitrag in den nächsten Jahren von 14 auf über 60 Millionen Franken jährlich aufstocken. Und der Bundesrat erklärt sich für solidarisch mit dem europäischen Grenzschutz im Mittelmeer, in der Ägais oder auf dem Balkan.
Das ist eine Schande für unser Land.»
Jean Ziegler ist Soziologe, Vizepräsident des beratenden Ausschusses des Uno-Menschenrechtsrates und Autor. Im letzten Jahr erschien im Verlag C. Bertelsmann (München) sein neustes Buch: Die Schande Europas. Von Flüchtlingen und Menschenrechten.
Jean Ziegler schreibt regelmässig die Kolumne "La Suisse existe" für die workzeitung, die Zeitung der Gewerkschaft UNIA. Diese Ausgabe ist am 7. September 2021 erschienen.
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Dienstag, 8. Juni 2021
Die Schweiz setzt die UN-Konvention für die Kinderrechte nicht um
Das Netzwerk Kinderrechte Schweiz lancierte heute seine Kampagne «Kinder haben Rechte». Es fordert eine nationale Kinderrechtsstrategie.
Alle fünf bis sieben Jahre muss die Schweiz dem UN-Kinderrechtsausschuss in Genf über ihre Umsetzung der UN-Konvention für die Rechte des Kindes (UN-KRK), die sie 1997 ratifiziert hat, berichten. Der Bund zeigt sich optimistisch: «... die Schweiz hat seit der letzten Überprüfung im Januar 2015 Fortschritte bei der Umsetzung der UN-KRK gemacht». Das Netzwerk - dem 50 Organisationen in der Schweiz angehören - teilt diese Einschätzung nicht. Insbesondere fehle es an einer nationalen Kinderrechtsstrategie, denn es hänge vom Wohnkanton ab, wie Kinder und Jugendliche ihre Rechte wahrnehmen könnten. So fordert das Netzwerk eine nationale Strategie für die Bereiche Gewaltprävention, Zugang für Unterstützungsangebote für Familien, die Qualität in der Heimunterbringung und bei Pflegeplätzen.
Weitere Forderungen betreffen die Kinderarmut in der Schweiz («260'000 Kinder leben an der Armutsgrenze»), die geflüchteten Kinder oder die Gewalt in der Familie («Gewalt ist Alltag in Schweizer Familien»). Um der Gewalt in der Familie zu begegnen, fordert das Netzwerk, dass das «Recht auf gewaltfreie Erziehung im Zivilgesetzbuch» endlich verankert wird.
Die detaillierten Forderungen finden sich hier
Video «Kinder haben Rechte»: hier
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Donnerstag, 17. Dezember 2020
getty images«Kara Tepe versinkt im Dreck, und Europa schaut zu»
Am 7. Dezember 2020 fragte SP-Nationalrätin Samira Marti den Bundesrat: «Wieviele Kinder von Moria sind bereits auf Schweizer Boden?» Die Antwort des Bundesrates: Seit Anfang Jahr habe die Schweiz 54 unbegleitete minderjährige Asylsuchende mit einem familiären Bezug zur Schweiz aufgenommen. Zur Erinnerung: Es geht um 8'000 bis 12'000 Menschen, davon sind 3'000 bis 4'000 Kinder, die auf Lesbos «im Dreck» leben, wie es die österreichische Online-Zeitung ZackZack beschreibt: «Geflutete Zelte, frierende Kinder, Hoffnungslosigkeit – Kara Tepe versinkt im Dreck, und Europa schaut zu. Das Ersatzlager auf Lesbos, in dem Tausende von Flüchtlingen seit dem Brand in Moria leben müssen, ist für den Winter vollkommen ungeeignet. Und die Lage verschlimmert sich immer weiter.» Und der Bundesrat plant, wie er in der Antwort an Frau Marti weiter schreibt, dass «vor Ende 2020 eine weitere Gruppe von 17 unbegleiteten Minderjährigen in die Schweiz einreisen wird.» Daneben beteilige sich die Schweiz an der durch die deutsche EU-Ratspräsidentschaft koordinierte Evakuierung und Aufnahme von 400 Minderjährigen. Und: «Die Schweiz hat beschlossen, 20 Kinder und Jugendliche - unabhängig von ihrem familiären Bezug zur Schweiz - aufzunehmen.» Bravo. Und rechne: 54 plus 17 plus 20 macht 91 Kinder. Sie alle dürfen in die Schweiz kommen, und der Rest? Was ist mit den tausenden Erwachsenen? Die Schweiz weigert sich mehr Flüchtlinge aufzunehmen, obwohl die Zentren hierzulande weniger als halb leer sind.
Was ist los mit Europa? Es gibt natürlich mehrere Erklärungsstränge. Einerseits gibt man lieber 35 Milliarden Euro für «Grenzschutz und Flüchtlingsabwehr» im Mittelmeerraum aus, als Flüchtlinge zu retten. Andererseits: Es ist hässlich, dass die EU mit Ungarn und Polen keinen Verteilschlüssel für die Aufnahme von Flüchtlingen auf die Reihe kriegt. Warum streicht man Orban und Duda nicht einfach das Geld, wenn Sie nicht mitmachen wollen? Weil es eben - zum Beispiel - auch andere in der Union gibt, die nicht «noch mehr» Flüchtlinge aufnehmen wollen. Sebastian Kurz, Bundeskanzler der Republik Österreich, bringt seine Grundhaltung exemplarisch auf den Punkt: Er erklärt die Situation auf Lesbos nach dem Brand von Moria seinen ÖsterreicherInnen, die in einem Land der Glückseligen leben (seine Worte an anderer Stelle) so: Er fühle mit den Menschen auf Lesbos, sagt er, und: «Die Bilder aus Moria lassen niemanden kalt», führt er in einem Video an die Nation aus, doch das Schlimmste, was passieren könne sei, dass sich die Situation von 2015 wiederhole. Die EU sei massiv überfordert gewesen und viele Menschen seien im Mittelmeer ertrunken, weil sie dachten, die Grenzen nach Europa seien offen. «Allein im Jahr 2015 waren es über 3'000 Tote». Dabei hätten Schlepper viel Geld verdient. Und nun hätten einige Migranten das Flüchtlingslager Moria angezündet, «um Druck zu machen, dass sie weiter von Lesbos aufs europäische Festland kommen können. Wenn wir diesem Druck jetzt nachgeben, riskieren wir, dass wir dieselben Fehler machen wie im Jahre 2015». Und zum Schluss sagt der Kanzler der Glückseligen (er wurde 2019 übrigens mit 37,5% ! der Wählenden zum Kanzler gewählt): «Dieses menschenunwürdige System aus dem Jahr 2015 kann ich mit meinem Gewissen nicht vereinbaren». Er meint vorallem das Schleppersystem. Denn gäbe es sie nicht, hätten wir keine Flüchtlinge. Gute Nacht bei so viel Zynismus......
Aktuelle Situtation auf Lesbos: ein kurzer Bericht auf Arte vom 7. Dezember 2020.
Und «Skandal Frontex» von Jean Ziegler in der Zeitung work vom 18. Dezember 2020.
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Mittwoch, 9. Dezember 2020
Nationalrat sagt JA zum Schutz von Kindern
Heute stimmten alle Fraktionen, außer die SVP, im Nationalrat einem Postulat zur gewaltfreien Erziehung zu. Damit beauftragt er den Bundesrat zu überlegen, wie dem Anliegen im ZGB den Grundsatz der gewaltfreien Erziehung zu verankern, am besten entsprochen werden kann. Bundesrätin Karin Keller-Sutter empfahl dem Parlament die Annahme des Vorstosses, sagte aber: «Der Bundesrat ist überzeugt davon, dass eine Bestimmung im Zivilgesetzbuch nicht die Lösung des Problems ist.» Er sei jedoch bereit, zu prüfen wie dem Anliegen, nämlich dem Schutz von Kindern vor Gewalt in der Erziehung, am besten entsprochen werden kann. Immerhin, es ist ein Schritt in die richtige Richtung!
Die Arbeit geht aber weiter. Es braucht dieses Gesetz im ZGB, leider gibt es immer noch genügend GegnerInnen. Insbesondere zum Beispiel Justizministerin Keller-Sutter, wie sie oben zitiert deutlich sagte. Dies obwohl das Postulat den Bundesrat beauftragt, zu überlegen, wie die gewaltfreie Erziehung gesetzlich verankert werden kann. Man kann ja gespannt sein, wie der Bundesrat diese Knacknuss lösen will. Schliesslich verlangt auch die Uno von der Schweiz ganz deutlich, die gewaltfreie Erziehung ins Gesetz zu schreiben.
Lesetipps:
«Zwar verhindern Gesetze allein nichts», wie Karin Hoffsten in der WoZ schreibt: «Aber das Wissen, dass etwas verboten ist, hat gesellschaftlich eine Wirkung.» Dezember 2020
«Gesetzlich tolerierte Ohrfeigen» von Natalia Widla in der WoZ Dezember 2020
Studie der Universität Fribourg: «Bestrafungsverhalten von Eltern in der Schweiz» 2020
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Dienstag, 22. September 2020
Lesen Sie die Kolumne von Mely Kiyak in der REBUBLIK Hier
Endlich: Entkorkt die Champagnerflaschen, serviert erlesene Häppchen, feiert! Es gibt einen Gott, Moria brennt,
schreibt Mely Kiyak.
«Das muss man sich mal vorstellen: Menschen fliehen und landen zu Zehntausenden auf europäischen Inseln, ohne die Errungenschaften einer zivilisierten Welt. Keine Kanalisation, keine Toiletten, kein Strom, sie hausen wie im Mittelalter. Gebären ihre Kinder in Zelten, ziehen sie dort gross.»
Die Einwanderung in Zahlen
Kennen Sie die Zahlen der MigrantInnen in Europa? Es gibt 513,5 Mio. EU-Bürger. Es halten sich 3,6 Mio. Flüchtlinge, Asylbewerber und Staatenlose in der EU auf, das macht, man rechne, lediglich 0,6% der EU-Bevölkerung aus. Das ist wenig im Vergleich zu den 3,1 Mio in der Türkei, die dort 4% der Bevölkerung ausmachen. Und auch nicht alle MigrantInnen verlassen ihr Land, um zu fliehen und Asyl zu beantragen: Die Flüchtlinge sind nur ein Teil der MigrantInnen, die in Europa einwandern, ob zum Studieren oder zum Arbeiten. Insgesamt dürften in Europa etwa 35 Mio. MigrantInnen leben, deren Anteil an der EU-Bevölkerung etwas weniger als 7% beträgt. Und von den 35 Mio. MigrantInnen stammen etwa 23 Mio. aus Nicht-EU-Ländern, weniger als 5 % der Bevölkerung.
Weiter zum Thema: Migration eine lange Geschichte: Arte TV «Mit offenen Karten» Video 13 Minuten
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Mittwoch, 9. September 2020
Ibrahim Hussein Flüchtling auf MoriaEs brennt im Flüchtlingscamp Moria auf Lesbos -
Die Schweiz muss endlich 5'000 Flüchtlinge aufnehmen
Letzte Nacht ist das massiv überfüllte Flüchtlingscamp Moria zu grossen Teilen durch einen Brand zerstört worden. Gegen 13’000 Menschen lebten in dem Camp, das ursprünglich für knapp 3'000 Menschen konzipiert wurde. Europa und die Schweiz als Dublin-Staat haben es im Frühjahr 2020 verpasst, die breit geforderte Evakuierung der Camps und die Umverteilung der Menschen auf verschiedene europäische Staaten durchzuführen. Und: Bis heute weigert sich die Schweiz mehr Flüchtlinge aufzunehmen, obwohl die Zentren hierzulande mehr als halb leer sind. Selbst der Bundesrat schrieb im März: «Das Notfallkonzept von Bund und Kantonen (...) sieht vor, dass der Bund (...) bis zu 9'000 zusätzliche Unterbringungsplätze von Asylsuchenden bereitstellen kann». Der Platz ist also vorhanden, und ein Notfall ist im Flüchtlingslager Moria auf Lesbos längst gegeben.
Die Flüchtlinge vegetieren derzeit auf den Strassen rund um Moria. Ibrahim Hussein, Journalist aus Somalia: «Drei Tage, drei Nächte, ohne Essen, ohne Wasser, ohne Schutz, niemand gibt uns irgendetwas, das ist einfach unmenschlich», sagt er gegenüber der ARD. Die Bevölkerung vor Ort ist am Ende, sie will diese Flüchtlinge nicht mehr. Evakuieren jetzt, die Gruppe, die in der Schweiz im Frühling den «Oster Apell» gründete, unterstützt von 130 Organisationen, sammelte innert Kürze 40'000 Unterschriften; die Gruppe ist sich sicher: «Diese Katastrophe hätte verhindert werden können und müssen!» Sie schreibt: «Die Schweiz und Europa sind mitverantwortlich für diese Situation».
Doch die Schweiz will keine Flüchtlinge aufnehmen: Bundesrätin Karin Keller-Sutter sagte heute in der Tagesschau, die Schweiz werde Hilfe vor Ort leisten. Und obwohl: 8 Schweizer Städte haben bereits im Juni angeboten, Flüchtlinge von Moria aufzunehmen (sie hätten genügend Platz). Keller-Sutter sagte aber heute Abend auch, es gäbe dafür keine rechtliche Grundlage. Es ist nicht nur die Schande Europas, es ist auch die Schande des reichsten Landes der Welt: Der Schweiz und von KKS ganz persönlich.
Brandstifter in Bern und Brüssel, Kommentar von Anna Jikhareva in der WOZ hier
ARD-Video vom Mittag "Flüchtlingslager Moria abgebrannt" hier
ARD-Brennpunkt "Feuer in Moria - Was wird aus den Flüchtlingen" hier
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Sonntag, 23. August 2020
Europas Schande - schlimmer wirds (n)immer: «vom Hals geschafft»
Die Enthüllung der «New York Times» vom 14. August ist schockierend: Die amerikanische Zeitung berichtete, dass griechische Küstenwächter in den vergangenen Monaten mindestens 31-mal Flüchtlingsgruppen aus Auffanglagern auf den Ägäischen Inseln geholt hätten, sie aufs offene Meer hinausfuhren, an der griechischen Seegrenze mitten in der Nacht in Schlauchboote setzten und sie dann ihrem Schicksal überliessen. Mindestens 1'072 Menschen hätten sich die Griechen auf diesem Weg vom Hals geschafft. Die 50-jährige Syrerin Najma al-Kathib erzählte der «New York Times», wie sie und 22 andere, darunter 2 Babys, mitten in der Nacht aus ihrem Lager auf Rhodos geholt und von maskierten Männern - sehr wahrscheinlich Angehörige der griechischen Küstenwache - weit aufs Meer gebracht wurden. «Ich habe Syrien aus Angst vor den Bomben verlassen. Aber als ich das erlebte, wünschte ich mir, ich wäre zu Hause im Bombenhagel gestorben», sagte Najma al-Kathib. Überlebt hat sie die Horrornacht auf dem Meer nur dank der türkischen Küstenwache, die das Boot entdeckte und an Land holte.... Es ist unfassbar, was die Griechen sich unter dem konservativen Ministerpräsident Kyriakos Mitsotakis leisten - und Europa sieht zu. Und die Schweiz? BR Sommaruga besuchte Lesbos das letzte Mal im 2017. SRF
Lesen Sie weiter auf WATSON
Und: «Die Schande Europas» von Jean Ziegler, Bertelsmann 2020
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Mittwoch, 1. Juli 2020
Menschenrechte im Mittelmeer
Am letzten Freitag ist Hamed, 12 Jahre alt, in Zürich gelandet. Sein Vater Mohammed Haydari und seine Tante Zahra Jafari sahen ihn nur durch eine Scheibe. Hamed ist nun für 2 Wochen in Quarantäne. 8 Monate war er in Moria auf Lesbos.
Moria – die Zahlen und Fakten sind bekannt, und man kann sie nicht genügend wiederholen: Insgesamt 20'000 Menschen leben in diesem Flüchtlingslager, darunter 4’000 Kinder. Das Camp wurde innerhalb der Mauern einer Kaserne errichtet, die ursprünglich für 3'000 Soldaten konzipiert worden war. Es mangelt an sanitären Anlagen, Wasser, Seife und Ernährung. Jean Ziegler hat das Lager in seiner Funktion als Vizepräsident des beratenden Ausschusses des UN-Menschenrechtsrates im Mai 2019 besucht. Noch heute ist er regelmässig mit SchweizerInnen in Kontakt, die auf den fünf Kleinasien am nächsten liegenden Ägäisinseln Lesbos, Kos, Leros, Samos und Chios Hilfe leisten. «Die Zustände in Moria sind die Hölle: Frauen, Männer und Kinder sind von diesen mit Glasscherben und Stacheldraht mit Widerhaken bewehrten Mauern eingeschlossen, bewacht von bewaffneten Polizisten in schwarzen Uniformen. Jenseits der Mauern des offiziellen Lagers erstrecken sich inoffizielle Lager in den Olivenhainen. Sie sind schlimmer als jeder Slum, den ich auf der Welt je gesehen habe», erzählt der Soziologe der WOZ.
EU sprach 35 Milliarden für Grenzschutz und Flüchtlingsabwehr
Für die Rüstungsindustriellen und die Waffenhändler aller Art sei der Kampf gegen Flüchtlinge und MigrantInnen viel profitabler als jeder gegenwärtig wütende Krieg in Syrien, Darfur oder Jemen, schreibt Ziegler in seinem Buch «Die Schande Europas», das Anfang Jahr bei Bertelsmann erschienen ist. Die 140 Seiten sind erschütternd und sollten Pflichtlektüre sein für alle, die sich mit der Lage im Mittelmeer befassen (möchten). Danach hat die EU die Finanzmittel für «Grenzsicherung und Migration» auf 34,9 Milliarden verdreifacht bis 2027. Es scheine, so die Begründung der Europäischen Kommission, dass Grenzsicherung und Migrationssteuerung in Zukunft eine der wichtigesten Aufgaben (der EU) sein werden. Damit missachtet resp. verstösst die EU gegen die Menschenrechte: Es gibt für verfolgte Menschen keinen illegalen Grenzübertritt. In Artikel 14 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte heisst es: «Jeder Mensch hat das Recht, in anderen Ländern vor Verfolgung Asyl zu suchen und zu geniessen».
Die Schweiz trägt als Dublin-Staat Mitverantwortung
Seit Monaten und erst recht seit Corona schlagen zahlreiche Hilfsorganisationen international Alarm. In der Schweiz lancierte die Gruppe «evakuieren jetzt» den Oster-Appell, der von 130 Organisationen aus unterschiedlichsten Bereichen und 153 Persönlichkeiten als ErstunterzeichnerInnen mitgetragen wird - darunter auch Jean Ziegler. Die Petition fordert den Bundesrat und das Parlament «eindringlich auf, möglichst viele Geflüchtete aus der Ägäis in die Schweiz zu holen». Als Dublin-Staat trage die Schweiz eine Mitverantwortung für die humanitäre Katastrophe auf den griechischen Inseln. Innert kurzer Zeit unterschrieben 40’000 Menschen den Appell.
Die Schweiz hat Platz für 9'000 Flüchtlinge
«Die Schweiz müsste 5'000 Menschen ins Land bringen», sagt Jean Ziegler, «die Asylzentren bei uns sind quasi leer. Die aktuelle Asylpolitik ist doch absurd.» In der Tat: Die Schweiz könnte sehr viel mehr Asylsuchende aufnehmen. Selbst der Bundesrat schreibt in seiner Antwort auf eine Anfrage der Basler Nationalrätin (Grüne) Sibel Arslan vom März dieses Jahres: «Das Notfallkonzept von Bund und Kantonen (...) sieht unter anderem vor, dass der Bund (...) bis zu 9’000 zusätzliche Unterbringungsplätze für die Erstunterbringung von Asylsuchenden» bereitstellen kann. Der Platz ist also vorhanden, und ein Notfall ist im Flüchtlingslager Moria auf Lesbos eindeutig gegeben.
Das EJPD bewilligte zwar vor ein paar Wochen 1,1 Millionen Franken zur Unterstützung von Uno- und anderen Hilfswerken. Die Forderung aber, Menschen aus dem Flüchtlingslager Moria in der Schweiz aufzunehmen, verhallte - bis jetzt - ungehört. Immerhin wurde Staatspolitische Kommission des Nationalrates aktiv. Sie verlangte mit der Motion Nr. 20.3143, die Schweiz müsse Flüchtlinge aufnehmen und sich auf europäischer Ebene dafür einsetzen, dass die schlechten Lebensbedingungen der Flüchtlinge auf den ägäischen Inseln substanziell verbessert würden. Aber auch, dass die Dublin-Verträge neu diskutiert werden. Am 17. Juni hat der Nationalrat die Motion angenommen. Nun muss das Geschäft noch in den Ständerat. Die Mühlen mahlen langsam, die Flüchtlinge aber, müssen jeden Tag neu überlegen, wie sie am nächsten Tag über die Runden kommen. Die WoZ-Autorin Franziska Grillmeier hat mit Fotos von Julian Busch eindrückliche Porträts geschieben: Die Gestrandeten von Moria; WOZ 27/2020
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Bund streicht Stellen im Asylbereich vom 6. Juli 2020
Die Schweiz muss handeln - jetzt Flüchtlinge aufnehmen - Video der Petitionsübergabe vom 6. Juli 2020
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Samstag, 29. Februar 2020
Der Bundesrat sagt wieder nein
Am 20. Dezember 2019 reichte CVP-Nationalrätin Christine Bulliard-Marbach, FR, erneut eine Motion für die gewaltfreie Erziehung im Nationalrat ein. Der Bundesrat hatte drei Monate Zeit, seine Position zu erarbeiten. Nächste Woche ist es soweit. Es ist nicht die erste Motion, es ist in etwa die vierte. Jedes Mal lehnte der Bundesrat die Vorstösse ab mit der Begründung, ein Züchtigungsrecht der Eltern sei heute mit dem Kindeswohl nicht mehr vereinbar. Deshalb sei es nicht notwendig, ein ausdrückliches Züchtigungsverbot im Zivilgesetzbuch (ZGB; SR 210) zu verankern. Zudem unterstünden Kinder dem Schutz durch das Strafrecht. Das Strafrecht aber ist für weniger gravierende Fälle von Gewaltanwendung wirkungslos. Es braucht ein Signal, dass wir in unserem Land nicht wollen, dass Kinder geschlagen oder psychisch verletzt werden.
Wir wünschen uns also vom Bundesrat, dass er die wohlformulierte und präzise Motion von Frau Bulliard-Marbach positiv beantwortet.
Denn es gibt zahlreiche gute Gründe dafür, einige seien hier nochmals aufgezählt:
- Schläge sind kontraproduktiv und schaden der Entwickllung des Kindes. Ohrfeigen oder Klapse erniedrigen und demütigen ein Kind.
- Ein Gesetz im Zivilgesetzbuch (ZGB) hat eine hohe Signalwirkung und führt längerfristig zu einem gesellschaftlichen Sinneswandel.
Das sieht man in unseren Nachbarländern; in Deutschland etwa hat seit der Einführung des Artikels 1631 im BGB für eine gewaltfreie Erziehung ein Sinneswandel stattgefunden: "Das Gesetz fördert nicht nur kritische Einstellungen zur Gewalt, sondern sensibilisiert obendrein für Gewalt in der Erziehung". Dies schreibt der deutsche Strafrechtler Prof. Dr. Kai D. Bussmann in seiner Studie (2010).
Diese Studie bestätigt, dass das Gewaltniveau seit der Einführung des Gesetzes in Deutschland deutlich gesunken ist.
Die Schweiz muss die UN-Konvention für die Rechte des Kindes umsetzen. Die Uno hat die Schweiz schon zweimal gerügt, weil sie noch kein Gesetz für die gewaltfreie Erziehung im ZGB verankert hat.
Übrigens unterstützt auch die Eidgenössische Kommission für Kinder- und Jugendfragen EKKJ mit einem 20-seitigen Bericht die Notwendigkeit eines solches ZGB-Artikels.
Ein ZGB-Artikel ermöglicht dem Bund, Informationsmassnahmen zu finanzieren, die das Verbot von Körperstrafen und seelische Gewalt an Kindern bekannt macht. Die schwedische Regierung zum Beispiel lancierte eine erfolgreiche Kampagne auf Milchtüten: Sie informierte über die Folgen für Kinder, wenn sie Gewalt erfahren, aber auch über die gesellschaftliche Folgen und die Folgen für das Gesundheitssystem.
Nun appellieren wir an die Vernunft und Klugheit des Bundesrates, zahlreiche Gründe und Studien liegen auf dem Tisch, warum es ein solches Gesetz im ZGB braucht. Fachleute, die in der Kinder- und Jugendhilfe oder in Spitälern tätig sind, fordern vehement ein solches Gesetz. Unsere Initiative wird von mehr als 70 Fachleuten und mehr als 10 Organisation, die im Thema Kinderrechte in der Schweiz tätig sind, unterstützt. Übrigens auch von Flavia Frei, Vize-Präsidentin der Eidgenössischen Kommission für Kinder- und Jugendfragen EKKJ.
Die genannten Fachleute haben täglich mit den Folgen der Gewalt an Kindern zu tun. Lesen Sie den Artikel im Tages-Anzeiger "Die Tendenz ist erschreckend". Hier wird berichtet, dass das Kinderspital Zürich 2019 eine Zunahme der Fälle verzeichnete, in denen ein Verdacht auf Misshandlung an Kindern bestand. Diese erschreckende Tatsache kann nicht ignoriert werden, auch nicht vom Bundesrat.
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Mittwoch, 20. November 2019
Die UN-Konvention für die Kinderrechte wird 30 - liebt die Schweiz ihre Kinder?
Am 20. November 1989 nahm die Uno die Konvention für die Rechte des Kindes an. Die Schweiz ratifizierte sie acht Jahre später. Die Umsetzung in der Schweiz harzt. Zwar laufen auf vielen Ebenen (Bund, Kantone, Gemeinden) intensive Bemühungen, die Konvention umzusetzen, doch es klemmt noch an einigen Stellen. So sind schon mehrere Motionen im Nationalrat gescheitert, die eine gesetzliche Verankerung des Rechtes auf gewaltfreie Erziehung im Zivilgesetzbuch (ZGB) forderten. Dies, obwohl ein solches Gesetz einer Empfehlung der zuständigen UN-Kommission entspricht. Der Nationalrat bekommt demnächst eine neue Chance: Die Walliser alt CVP-Nationalrätin Géraldine Marchand-Balet* reichte im Juni 2018 erneut eine Motion ein. Darin fordert sie ein Gesetz, wonach körperliche Bestrafungen, seelische Verletzungen und andere entwürdigende Massnahmen als unzulässig erklärt werden. Unsere Nachbarn haben damit gute Erfahrungen gemacht. In Deutschland und in Österreich beispielsweise hat das Gewaltniveau seit der Einführung eines entsprechenden Gesetzes deutlich abgenommen.
Philip Jaffé, Direktor des Centre of Childrens Rights der Universität Genf und seit 2018 Mitglied in der UN-Kommission für die Rechte des Kindes, macht eine klare Ansage: «Die Schweiz liebt ihre Kinder. Und wir sind ein reiches Land. Also sollten wir der Welt zeigen, dass die Rechte unserer Kinder Priorität haben.»
* die Motion wurde von CVP-Nationalrätin Christine Buillard-Marbach, FR, mitunterzeichnet und wird nun von ihr in der kommenden Session übernommen.
Weiterlesen:
Die UN-Konvention für die Rechte des Kindes wird 30 in Sozial Aktuell
Die Kinder im Waisenhaus Dom Sierot in Warschau - Janus Korczak gilt als Begründer der UN-Konvention für die Rechte des Kindes
Kinder besser schützen - auch in der Familie in VPOD-Zeitung
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Donnerstag, 10. Mai 2018
Körperstrafen werden verharmlost...
Letzte Woche fand in Bern das zweitägige internationale Kolloquium "Für einen besseren Schutz von Kindern in der Schweiz: Verbot von Körperstrafen?" statt, organisiert von der Universität Genf. Referierende aus Frankreich, Irland, Österreich, Schweden, den USA und der Schweiz sprachen über die Folgen von Körperstrafen, darüber dass ein Verbot die Gewalt an Kindern reduziert, aber auch über juristische Aspekte. Es ist klar: Die Schweiz ist verpflichtet Artikel 19 der UN-Konvention für die Rechte des Kindes umzusetzen. Diese Konvention hat unser Land im Jahre 1997 ratifiziert. Wir werden von der UNO regelmässig gerügt (letztmals im Bericht von 2015, Pt. D, 38), weil wir immer noch keinen Artikel in unserem Zivilgesetzbuch (ZGB) haben, der Gewalt an Kindern explizit als unzulässig erklärt. Denn: Die Folgen der Körperstrafen werden verharmlost, die Forschung zeigt ein anderes Bild als manche Volksmeinung; hier heisst es oft, es sei durchaus hilfreich, das Kind mit einem Klaps in die Schranken zu weisen. Das ist ein Irrtum. Schläge haben nicht die gewünschte Wirkung, sie führen nicht dazu, dass sich Kinder so verhalten, wie damit erwartet wird. Kurzfristig passen sich Kinder an die Forderung der Eltern vielleicht an, wenn sie geschlagen werden, aber längerfristig gehen sie erst recht ihre eigenen Wege. Und: Kinder lernen durch die erfahrene Gewalt vor allem Gewalt zu akzeptieren und sie selber anzuwenden. (Aus dem Referat des Vereins GEWALTFREIE ERZIEHUNG)
Es wird Zeit, dass wir im ZGB einen Artikel über die gewaltfreie Erziehung erhalten. Es macht keinen Sinn, und die zahlreichen Fakten belegen das, sich dagegen zu stemmen - egal mit welchen Ausreden. Eine solche Gesetzesbestimmung (wie zum Beispiel in Deutschland) muss von Massnahmen zur Förderung der gewaltfreien Erziehung begleitet werden. Eltern müssen unterstützt werden. Denn sie lieben ihre Kinder. Schläge resultieren aus Überforderung. Auch Ohrfeigen sind Schläge. Sie zu verteidigen oder zu rechtfertigen macht keinen Sinn. Früher oder später wird das auch unser Parlament und Bundesrat einsehen müssen, zum Schutz der Kinder hoffentlich früher!
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Montag, 13. November 2017
Eine Demütigung...
"Ohne ein solches Verbot gilt hierzulande weiterhin, dass man niemanden schlagen darf - es sei denn, das eigene Kind", schreibt Nadja Pastega gestern in der Sonntags-Zeitung (12.11.17, Artikel und Kommentar) anlässlich des Petitionsstartes. Es ist so, Sie werden staunen: Wenn Sie Ihrem Nachbarn eins an die Ohren geben, kann er Sie anzeigen. Wenn Erwachsene ein Kind schlagen, ist das nicht verboten. -
Das will die Petition ändern. Eltern dürfen selbstverständlich nicht kriminalisiert werden. Deshalb strebt die Petition eine Ergänzung im Zivilgesetzbuch (ZGB) an, und nicht im Strafrecht! Und: Die Petition fordert auch, dass Eltern unterstützt werden, wenn sie Hilfe brauchen mit ihren Kindern.
Denn: Zahlreiche Studien belegen es, Schläge - egal welcher Art und wie häufig - stellen für Kinder eine Demütigung dar und können ihre Entwicklung beeinträchtigen.
In einem guten Beitrag - von Celia Nogler im Winterthurer Regionalfernsehen TeleTop - hält Nationalrat Thomas Hurter (SH) nun nichts von dieser Petition: "Wir haben eine Gesetzgebung, die mehrheitlich funktioniert, die Eltern sind in der Verantwortung, und es kann nicht sein, dass der Staat vorschreibt, wie man zu Hause genau was machen darf. Plötzlich schreibt der Staat vor, wann die Kinder aufstehen müssen, das führt definitiv zu weit". Und weiter: Es müsse jede Familie selber entscheiden, denn grundsätzlich schadete eine Ohrfeige noch nie. Aber es sei klar, es schade, wenn man Kinder schlage. Und: Es gäbe heute schon genügend Regelungen. "Diese Forderung geht definitiv zu weit", sagt der Schaffhauser Nationalrat .
Von wegen, wir hätten eine Gesetzgebung, die funktioniert: Viele, die seit der Lancierung der Petition gestern unterschrieben haben, hinterliessen berührende Kommentare. Über Nacht quasi tröpfeln andauernd Unterschriften ein und Zeugnisse dafür, dass die Petition genau das Richtige will: Wir brauchen einen Artikel im ZGB, der besagt, dass die Schweiz keine Gewalt an Kindern will. "Es ist eine Tragödie, dass die Meinung „ein Klapps aufs Füdli hat noch nie geschadet“ so weit verbreitet ist", schreibt ein Unterstützer. Und eine andere schreibt: "Ich bin selber in einer gewalttätigen Umgebung aufgewachsen. Es fing bereits im frühen Kindesalter mit saftigen Ohrfeigen an, dann steigerte sich mein Vater immer mehr ins Zusammenschlagen. Zum Glück half mir mein Ehemann später, diese brutale Erziehung, die ich als Kind erleben musste, unseren Kindern nicht weiterzugeben. Er kam aus einer intakten Familie, in der Schläge Tabu waren. Ich bin ihm dafür sehr dankbar", führt die Schreiberin aus.
Was bleibt hier noch zu sagen, im Moment nur das: Es gibt sie, die Gewalt an Kindern, und offenbar reicht unsere Gesetzgebung nicht. Tut sie nicht, wie diese Berichte oben und auch zahlreiche Studien klar zeigen. Und die Petition will das mit Ihnen ändern, denn Gewalt an Kindern darf nicht toleriert werden!